Margrit Tappolet arbeitete von 1977 bis 2009 bei Swisscontact und leitete das SEC während sechs Jahren. Jane Achermann (J.A.), Projektleiterin SEC seit Juni 2015, hat mit Margrit Tappolet (M.T.) ein Interview geführt und dabei Interessantes erfahren.
J.A.: Margrit, du bist aufgrund des 40-Jahr-Jubiläums für uns in die Geschichte des SEC eingetaucht, hast im Archiv für Zeitgeschichte der ETH geforscht und diese informative Timeline erstellt. Herzlichen Dank!
Welche Funde haben dich am meisten bewegt oder auch erstaunt?
M.T.: Obschon ich diese Zeit bei Swisscontact noch erlebt habe, hat es mich im Rückblick erstaunt, wie es damals möglich war, mit den noch einfachen technischen Hilfsmitteln die Arbeit zu bewältigen. Für die Kommunikation standen damals die Post und der Fax zur Verfügung, Auslandtelefonate waren zu teuer. Auch die Amateurfotografie hat in der Zwischenzeit grosse Sprünge gemacht.
J.A.: Wie hast du damals persönlich die Gründung des SEC erlebt?
M.T.: Ich war damals in unseren Projekten in Lesotho tätig. Wir sind schriftlich über das SEC informiert und gebeten worden, bei der Suche von möglichen Einsatzanfragen zu unterstützen. Am Anfang haben viele Einsätze in Swisscontact- oder aber in DEZA-Projekten stattgefunden, zum Beispiel auch in Berufsbildungsprojekten.
J.A.: Wie war damals die Stimmung allgemein in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit? Und wie war die Einstellung zum SEC?
M.T.: Es war die Zeit des Wandels von der Entwicklungshilfe zur Entwicklungszusammenarbeit. 1979 kam zum Beispiel der Begriff „Entwicklungshilfe“ noch im Namen von Swisscontact vor. Viele fanden das SEC natürlich eine sehr gute Sache mit viel Potenzial. Es gab jedoch auch Skeptiker, die befürchteten, dass den Senior Experten die Erfahrung in den Entwicklungsländern fehlt.
J.A.: Was waren damals deine grössten Herausforderungen in der Leitung des SEC?
M.T.: Zu meiner Zeit wurde das SEC neu auf die Unterstützung der Einsätze bei KMU ausgerichtet. Swisscontact war mit der KMU-Förderung primär auf der sogenannten Makro- und Mesoebene tätig. Die SEC-Einsätze ergänzten dies mit der Unterstützung bei den eigentlichen Klein- und Mittelbetrieben, der sogenannten Mikroebene. Wir haben eine strukturierte Berichterstattung sowie Evaluationen und weitere neue Arbeitsinstrumente eingeführt. Für einige ehrenamtlich Tätige war dies damals noch ziemlich ungewohnt.
Was sind denn heute deine grössten Herausforderungen, Jane?
J.A.: Sicherlich die Budgetlimitierungen. Wir könnten noch so viel mehr erreichen, hätten wir mehr Geld zur Verfügung. Die Herausforderung besteht für mich somit darin, weitere Geldgeber, auch aus der Privatwirtschaft, von den SEC-Aktivitäten zu überzeugen, um unser Projektvolumen zu steigern und noch mehr Wirkung zu erzielen.
Herausfordernd finde ich tatsächlich auch die Digitalisierung. Die Tools und Möglichkeiten ändern sich so schnell. Kaum hat man ein IT-Projekt fertig umgesetzt und sich an die Abläufe gewöhnt, ist es schon fast wieder veraltet. Wir haben so viele Möglichkeiten für technische Hilfsmittel, aber sind wir schlussendlich wirklich effizienter?
Du bist nun seit ein paar Jahren auch selbst pensioniert. Was denkst du, sind die grössten Unterschiede zwischen den damals Pensionierten, die du als Experten entsendet hast, und der heutigen Generation von Personen im Ruhestand?
M.T.: Ich denke, dass wir heute als Pensionierte anspruchsvoller sind und uns auch vielseitig weiter betätigen wollen. Man war damals der Meinung, dass die Pensionierten ihren Ruhestand geniessen sollten. Den Garten und vielleicht noch ein Hobby pflegen, entsprach dem damaligen Cliché und hatte zu genügen. Auch habe ich einmal jemanden getroffen, der sogar kritisierte, dass Pensionierte im Ruhestand nicht mehr arbeiten sollten – das sei geradezu Ausbeutung. Damals war ein SEC-Einsatz noch etwas ziemlich Aussergewöhnliches.
J.A.: Was ist deine beeindruckendste Erinnerung während deiner Zeit als Leiterin des SEC? Gibt es eine Geschichte/einen Einsatz, der dir in spezieller Erinnerung ist?
M.T.: Eigentlich gibt es viele Geschichten. Mich haben die Senior Experten mit ihrer Kreativität und ihrem riesigen Engagement immer sehr beeindruckt. Oft brauchte es gar nicht viel zum Erfolg: Ein SEC-Experte hat „seinem“ Bäcker in Nepal z.B. empfohlen, die Gipfeli schon morgens um 7 Uhr parat zu haben und nicht erst um 10 Uhr. Mit dem Erfolg, dass alle verkauft wurden anstatt wie früher unverkauft liegen blieben.
Mich hat eine Expertin beeindruckt, die während einer Nacht bei minus 20° im unbeheizten Bahnwagen in die Provinz an ihren Einsatzort in Rumänien gefahren ist, ohne sich zu beklagen.
Du hast bestimmt auch viele prägende Geschichten, Jane?
J.A.: Mir imponieren einfach immer wieder das enorme Wissen und die jahrzehntelange Erfahrung, die unsere Expertinnen und Experten mitbringen sowie die Begeisterung für ihr Fachgebiet. Das ist wirklich ein Schatz, ja unser Kapital, das uns zur Verfügung steht. Ich lerne somit während Gesprächen mit Expertinnen und Experten immer wieder Neues über Gebiete, mit denen ich mich zuvor kaum je befasst habe.
Geprägt haben mich aber auch die vielen Begegnungen mit unseren Kunden und ihren Geschichten. Es ist für uns kaum vorstellbar, unter welchen Umständen es gewisse Unternehmerinnen und Unternehmer durch ihr Geschick und ihre Hartnäckigkeit geschafft haben, geschäftlich erfolgreich zu sein. Es braucht eine grosse Flexibilität und ein enormes Durchhaltevermögen sowie Mut. Ich denke, wir können viel von ihnen lernen. Oder uns zumindest daran erinnern, diese Fähigkeiten und Bodenständigkeit nicht zu verlernen.
Was wünschst du dir für die Zukunft des SEC?
M.T.: Mich freut es natürlich sehr, wenn Pensionierte mit dem SEC nach wie vor einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten können. Wichtig ist auch, dass sich das SEC laufend den veränderten Rahmenbedingungen anpasst.
Und was sind Deine Wünsche, Jane?
J.A.: Meine Wünsche sind relativ simpel – aber nicht ganz unbescheiden: Ich möchte in erster Linie, dass das SEC wächst und sein volles Potenzial umsetzen kann. Ich schaue immer hoch zu unseren Schwesterorganisationen in Deutschland und Holland, die grundsätzlich dieselben Dienstleistungen bieten wie wir, aber sehr viel grösser sind, da ihnen die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Das SEC beweist immer wieder, wie kostengünstig viel Wirkung erzeugt werden kann. Die Anerkennung dieser Wirkung ist schon ein grosser Schritt. Ich wünsche mir natürlich auch, dass das politische Umfeld es weltweit weiterhin erlaubt, in die internationale Entwicklungszusammenarbeit zu investieren und sich momentane Trends zur Nationalisierung in vielen Ländern nicht weiter verhärten.
Ausserdem wünsche ich mir natürlich, dass weiterhin alle unsere Expertinnen und Experten einen Mehrwert für sich und ihr Umfeld in der Schweiz von einem SEC-Einsatz mit nach Hause bringen und immer gesund und inspiriert zurückkehren.
Vielen Dank, Margrit, für deine Unterstützung und diesen interessanten Einblick in die Geschichte des SEC.